Krankenhaus-Report 2018

Schwerpunkt: Bedarf und Bedarfsgerechtigkeit

Die Orientierung am Bedarf der Patienten muss die oberste Maxime der Sicherung einer qualitativ hochwertigen und finanzierbaren Versorgung sein. Die jüngste Krankenhausgesetzgebung hat mit dem Fokus auf Qualität der Versorgung und Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft das „Wie“ der Bedarfsorientierung verstärkt in den Vordergrund gerückt.

Im Rahmen des Schwerpunktthemas „Bedarf und Bedarfsgerechtigkeit“ betrachtet der Krankenhaus-Report 2018 unter anderem die Bedarfsbestimmung im Gesundheitswesen allgemein und in der stationären Versorgung im Besonderen, rechtliche Implikationen der Bedarfsorientierung, regionale Unterschiede in der Leistungserbringung, Bedarfsentwicklung aufgrund des demografischen Wandels, Patientenorientierung und Strukturwandel, Qualitätsorientierung in der Krankenhausplanung und Bedarfssicherung durch Marktregulierung sowie die Neuordnung der Notfallversorgung.

Inhaltsverzeichnis

Teil I Schwerpunktthema: Bedarf und Bedarfsgerechtigkeit

Versorgungsbedarf im Gesundheitswesen – ein Konstrukt

Bernt-Peter Robra und Anke Spura

Der Beitrag geht der Konstruktion des Versorgungsbedarfs auf drei Ebenen nach: der Mikroebene der Arzt-Patient-Beziehung, der Mesoebene der Verbände und der Wissenschaft und der Makroebene der Versorgungspolitik. Auf jeder der drei Ebenen handeln unterschiedliche Akteure mit spezifischen Aufträgen, Normen, Zielen und Präferenzen. Sie informieren und beeinflussen einander, haben aber auch autonome Entscheidungsmöglichkeiten. Auf jeder Ebene, so die These, wird Bedarf unterschiedlich antizipiert, hergeleitet, versorgt (disponiert), bewertet und korrigiert. Die Bedarfskonstituierung der drei Ebenen stimmt im Ergebnis also nicht unbedingt überein. Bedarfsmanagement wird ein iterativer, offener Lern-, Entwicklungs- und Systemgestaltungsprozess, das heißt ein „diskursives“, auf höherer Ebene ein „politisches“ Geschehen. Die Ausführungen sollen dazu beitragen, Versorgungsbedarf als relationales Konzept und dynamisches soziales Konstrukt zu verstehen. Statt zu versuchen, einen als „exogen“ verstandenen Bedarf punktgenau zu messen, daraus den benötigten Leistungsmix, sekundär auch die wirtschaftlichen Kapazitäten abzuleiten, geht es darum, evidenzbasierte, gesellschaftlichen Erwartungen standhaltende und nachhaltig finanzierbare Versorgungsziele zu begründen. Zudem geht es darum, Zweckmäßigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der vorgehaltenen Strukturen und erbrachten Leistungen an ihrem Beitrag zur Zielerreichung zu bewerten, gegebenenfalls korrigierend („planerisch“) einzugreifen und dabei Opportunitätskosten an anderer Stelle nicht unberücksichtigt zu lassen. Dafür bedarf es eines Perspektivwechsels in der „Bedarfsplanung“ und eines andauernden Diskurses einer über Stand und Entwicklung ihrer Versorgung wohlinformierten Öffentlichkeit.

Bedarf und Bedarfsgerechtigkeit in der stationären Versorgung

David Herr, Anja Hohmann, Yauheniya Varabyova und Jonas Schreyögg

Die Ermittlung von stationärem Behandlungsbedarf und die daraus folgenden politischen und administrativen Prozesse, insbesondere die Krankenhausplanung und -finanzierung, sind zentrale Aufgaben der Gesundheitspolitik. Wir erörtern in diesem Beitrag zunächst theoretisch denkbare und tatsächlich verwendete Konzepte der Ermittlung des stationären Bedarfs. Anschließend betrachten wir den Status quo der Umsetzung des Bedarfs in den Bundesländern und im europäischen Ausland. Wir analysieren die Entwicklung des stationären Versorgungsgeschehens und schließen mit Perspektiven einer bedarfsgerechteren Krankenhausversorgung.

Bedarf und Bedarfsgerechtigkeit aus rechtlicher Sicht

Winfried Kluth

Wer in welchem Umfang im Bereich der stationären Krankenversorgung „passende“ Kapazitäten bereithalten muss, ist eine Frage, die rechtlich zwei Klärungen verlangt. Auf der Nachfrageseite wird der Umfang der zu erbringenden Leistungen durch die gesetzlichen Leistungsansprüche der gesetzlich Versicherten bestimmt. Der konkrete Umfang kann nur durch empirische Erhebungen bestimmt und prognostisch fortgeschrieben werden. Auf der Angebotsseite sind im Bereich der Krankenhausversorgung die Länder Träger der Sicherstellungsverantwortung. Das hat zur Folge, dass unterschiedliche landesrechtliche Lösungen zu beobachten sind. In allen Bereichen kommt aber den kommunalen Krankenhausträgern eine besondere Sicherstellungsfunktion zu. Der Beitrag zeigt, welche Steuerungsinstrumente eingesetzt werden und welche verfassungsrechtlichen Vorgaben die Landesgesetzgeber beachten müssen, wenn sie die Angebotsstruktur genauer steuern wollen, um eine flächendeckende und zugleich wirtschaftliche Versorgung sicherzustellen.

Der Einsatz von Qualitätsinformationen für Krankenhausplanung und Leistungseinkauf in Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich und der Schweiz

Alexander Geissler, Sherry Lee und Wilm Quentin

In einigen europäischen Ländern werden Qualitätsinformationen im Rahmen der Krankenhausplanung genutzt, um stationäre Leistungen auf die dafür am besten geeigneten Standorte zu verteilen. Dafür gibt es oft eine nationale Rahmenplanung, die durch eine regionale Leistungsplanung und -vergabe konkretisiert wird. Aus dem internationalen Vergleich lassen sich vier Strategien ableiten. Erstens haben die untersuchten Länder über Gesetzesinitiativen verbindlich einen Qualitätsbezug in Planungs- und Vergabeverfahren auf nationaler Ebene implementiert. Zweitens zeigt sich in vielen Ländern die Bewertung der Qualität von Krankenhäusern als wichtiges Instrument, um das Leistungsangebot zu steuern. Drittens zeigen einige Beispiele, dass selektive Vertragsmodelle geeignet sind, um Anreize für Qualitätssteigerungen zu setzen und diese zu honorieren. Viertens erlaubt die Zentralisierung von hoch komplexen und spezialisierten Methoden eine Bündelung von Ressourcen für tendenziell seltene Fälle, die besondere Anforderungen hinsichtlich technischer und personeller Ausstattung aufweisen. Derartige Initiativen könnten auch in Deutschland Teil einer bundesweiten Rahmenplanung werden und damit die Krankenhauslandschaft zielorientiert für zukünftige Herausforderungen weiterentwickeln.

Strukturwandel und Entwicklung der Krankenhauslandschaft aus Patientensicht

Max Geraedts

Deutschlands Krankenhausstrukturen und Krankenhauslandschaft haben sich in den letzten 25 Jahren in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt. Im Gegensatz zu Entwicklungen des Gesundheitssystems im Ganzen und den Entwicklungen im ambulanten Sektor ist die Bürger- und Patientensicht auf den Krankenhaussektor aber bisher kaum erfragt worden. Daher können Aussagen zur Patientensicht auch nur im Nebenschluss auf der Basis von Sekundärdatenanalysen zur Inanspruchnahme des Krankenhaussektors sowie von Befragungen zum Gesundheitssystem als Ganzes oder den Erfahrungen mit einzelnen Krankenhäusern getroffen werden. So äußern sich die Bürger in Deutschland in den letzten Jahren insgesamt immer zufriedener mit dem Gesundheitssystem – und somit wahrscheinlich auch mit den Krankenhäusern, vertrauen aber Hausärzten mehr als Pflegekräften, Krankenhausärzten und – am wenigsten – Krankenhäusern. Trotzdem machen die meisten Patienten in Deutschlands Krankenhäusern positive Erfahrungen – wenn es irgendwo hapert, dann berichten Patienten über Probleme im Bereich der Kommunikation. Weiterhin beruht die Krankenhauswahl insbesondere auf eigenen Erfahrungen und der von Angehörigen, wobei niedergelassene Ärzte als Berater eine wesentliche Rolle spielen. Für mehr als 80 Prozent der Bürger ist es vorstellbar – wie von der Gesundheitspolitik gewollt –, weiter entfernte Krankenhäuser nach Qualitätskriterien auszuwählen. Bei fast allen Indikationen für einen Krankenhausaufenthalt suchen auch bereits mehr als 50 Prozent der Patienten nicht das nächstgelegene, sondern ein weiter entferntes Krankenhaus auf. In Anbetracht der dichten, flächendeckenden Krankenhausversorgung in Deutschland sind damit aber empirisch für die meisten Einwohner keine relevanten beziehungsweise unzumutbaren Fahrzeitverlängerungen verbunden.

Erklärung regionaler Unterschiede in der Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen am Beispiel lumbaler Bandscheibenoperationen

Johannes Pollmanns, Maria Weyermann und Saskia Drösler

Bei stationären Krankenhausbehandlungen zahlreicher Erkrankungen zeigen sich nicht-zufallsbedingte geografische Unterschiede. Dieser Beitrag untersucht mögliche Ursachen unterschiedlicher Raten lumbaler Bandscheibenoperationen auf Kreisebene in Deutschland im Jahr 2014. Datenbasis ist die fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik. Mittels Funnel Plots wurden Kreise identifiziert, in denen auffällige Raten nicht durch zufällige Streuung erklärbar sind. Logistische Regressionsmodelle zeigen, dass bei einer hohen Dichte niedergelassener Orthopäden sowie einer höheren Rate an Beschäftigten mit akademischem Abschluss weniger auffällig hohe Eingriffsraten auftreten. Dies verdeutlicht, dass lumbale Bandscheibenoperationen wahrscheinlich von Präferenzen der Betroffenen und Leistungserbringer abhängig sind. Diskussionen über die regionalen Unterschiede sollten daher Faktoren berücksichtigen, die die Indikationsstellung beeinflussen.

Von der Landesplanung zur algorithmischen Marktregulierung

Wulf-Dietrich Leber und David Scheller-Kreinsen

Deutschland erlebt einen fundamentalen Wandel in der Steuerung und Strukturierung der stationären Versorgung: Es entsteht neben der klassischen Planung eine bundesweite Marktregulierung, die die klassische Kompetenz der Krankenhausplanung durch die Landesbehörden substituiert oder zumindest in Frage stellt. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist auch im Krankenhausbereich zu einer Regulierungsbehörde in gemeinsamer Selbstverwaltung geworden. Über die Trägervielfalt entscheidet das Bundeskartellamt, der Gemeinsame Bundesausschuss ist zusammen mit dem neuen Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen die dominierende Instanz für Fragen der Qualitätssicherung. Durch Strukturvorgaben zur Sicherstellung werden mittlerweile wesentliche Kriterien zur Krankenhausplanung beschlossen, die traditionell in die Länderkompetenz fallen. Diese Strukturvorgaben sind zum Teil qualitätsorientiert, zum anderen berühren sie auch Kapazitätsfragen. Die bundesweiten Vorschriften haben den Charakter „algorithmischer“ Planung: Sie formulieren versichertenorientierte Regeln für die auf dem Markt stationär tätigen Krankenhausträger. Es gilt, dieses Regelwerk weiterzuentwickeln. Noch fehlen wesentliche Algorithmen zum Marktzu- und -abgang. Ferner erlauben die digitalen Systeme inzwischen weitestgehend die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten. Es dürfte deshalb an der Zeit sein, verfassungsrechtlich nachzujustieren, damit vermeintliche Eingriffe in die Planungshoheit der Länder künftig nicht mehr unbefriedigende Opt-out-Regelungen nach sich ziehen. 

Der KHSG-Strukturfonds nach einem Jahr und Vorschlag zur Weiterentwicklung

Boris Augurzky und Adam Pilny

Die Krankenhausstrukturen sind seit Jahren Gegenstand politischer Debatten. Um Strukturoptimierungen anzuregen, hat der Gesetzgeber mit dem Strukturfonds im Rahmen des am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Krankenhausstrukturgesetzes (KHSG) den Akteuren im Markt dazu ein Instrument an die Hand gegeben. Wie die bisherigen Ausschöpfungsquoten zeigen, wird der Fonds von den Akteuren in hohem Maße angenommen. Die Mittel des Fonds werden jedoch nicht genügen, um die in diesem Kapitel abgeleitete Soll-Struktur erreichen zu können. Wir gehen hierfür von einem nötigen Investitionsvolumen von rund elf Milliarden Euro aus. Daher sollte über eine Fortführung des Strukturfonds mit Anpassungen nachgedacht werden. So sollten die Fonds-Mittel aus Steuermitteln des Bundes mit Ko-Finanzierung der Länder kommen, die Verteilung der Mittel sollte nach einem bundesweit einheitlichen Kriterienkatalog erfolgen und Krankenhausträger sollten Anträge stellen können.

Vom planerischen Bestandsschutz zum bedarfsorientierten Krankenhausangebot?

Reinhard Busse und Elke Berger

Trotz hinreichend bekannter Probleme in der deutschen Krankenhauslandschaft, wie Überversorgung oder Qualitätsunterschiede, setzen bisherige Reformmaßnahmen weiterhin mehr auf Bestandsschutz als auf Konsolidierung und fallen damit weniger radikal aus als notig. Denn mit Blick auf internationale Erfahrungen wie zum Beispiel in Dänemark mehren sich die Stimmen, die für einen radikaleren Umbau der Krankenhauslandschaft plädieren. Der Beitrag zeigt auf empirischer Basis Wege auf, in einer mittelfristigen Perspektive zu einer sinnvollen Krankenhausplanung unter Berücksichtigung von Bedarfs-, Angebots- und Qualitätsaspekten zu kommen.

Umsetzung der Qualitätsagenda des Krankenhausstrukturgesetzes – ein Vorschlag zur Vorgehensweise am Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen

Jürgen Malzahn, Patrick Garre und Carina Mostert

Mit dem KHSG und der Gründung des IQTIG wurde eine breite Qualitätsagenda für die Krankenhausplanung aufgesetzt. Die Umsetzungsgeschwindigkeit und das bisher Erreichte sind jedoch kritisch zu bewerten. Der bisher erreichte Stand erscheint umso problematischer, als sich hier mehrere gravierende Herausforderungen stellen. Die für eine bessere Qualität der Versorgung von Patienten avisierte Zentralisierung der Leistungserbringung ist auch geboten, will man die personelle Ausstattung zukunftssicher und effizient aufstellen und die deutsche Krankenhauslandschaft im Sinne interdisziplinärer vernetzter Medizin zukunftsfähig ausrichten. 

Neben den Handlungsoptionen auf Bundesebene nach KHSG sind insbesondere die planungsverantwortlichen Länder gefragt, die qualitätsorientierte Versorgung der Bevölkerung und eine entsprechende Planung in den Blick zu nehmen.Am Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen unterbreitet der vorliegende Beitrag einen zweistufigen konzeptionellen Vorschlag, wie die Planungsbehörden auf Landesebene dies angehen können. Aufsetzend auf Versorgungsstufen sollen sukzessive Leistungsbereiche in den Blick genommen werden, für die dann Qualitätsanforderungen (Mindestmengen, Anforderungen zu Struktur-, Prozess und gegebenenfalls Ergebnisqualität) festzulegen sind, die die Häuser erfüllen müssen.

Aktueller Stand und Prognose des Krankenhausbedarfs von Personen mit und ohne Demenz in Deutschland

Daniel Kreft, Alexander Barth, Anne Fink, Michael Nerius, Gabriele Doblhammer und Thomas Fritze

Für eine Krankenhausbehandlung stellt eine bestehende Demenz eine zusätzliche Herausforderung für das pflegerische und medizinische Personal dar. In diesem Beitrag wird unter Berücksichtigung der demografischen Alterung und basierend auf Abrechnungsdaten der AOK die künftige Zahl ausgewählter stationär gemeldeter Diagnosegruppen getrennt für Personen mit und ohne Demenz prognostiziert. Es zeigen sich deutliche Unterschiede ‑ wobei die Diagnosezahlen unter den Personen mit Demenz wesentlich höher ausfallen. Die dargestellten Bedarfsveränderungen können als Grundlage zur Abschätzung finanzieller Folgen und notwendiger Investitionsleistungen dienen.

Sektorenübergreifende Angebotssteuerung für Vertragsärzte und Krankenhausambulanzen

David Scheller-Kreinsen, Kathleen Lehmann, Gregor Botero, Franz Krause und Wilm Quentin

Ein zentrales Problem der von zahlreichen Akteuren geforderten Reform des ambulant-stationären Grenzbereichs ist die Frage nach einer sektorenübergreifenden ambulanten Angebotssteuerung. Dabei gilt es für solche Leistungen, die sinnvollerweise sowohl von Vertragsärzten als auch von Krankenhausambulanzen erbracht werden können und sollen, die notwendigen Kapazitäten sektorenübergreifend zu planen und bedarfsgerechte Versorgungsaufträge zu vergeben. Der Beitrag skizziert die Grundzüge einer möglichen zukünftigen sektorenübergreifenden Bedarfsplanung und Zulassung. Diese zeichnet sich durch zwei wesentliche Eigenschaften aus: Erstens die Nutzung von Versorgungssegmenten oder Leistungsgruppen als Planungseinheiten und zweitens eine zeitliche Befristung (zehn Jahre) sowie klare inhaltliche Definition der Versorgungsaufträge durch den G-BA. Die Ausführungen und die beispielhafte Anwendung des skizzierten Modells für eine Leistungsgruppe (Augenoperationen) in Berlin und Brandenburg zeigen, dass eine sektorenübergreifende Erfassung von Leistungen und Kapazitäten möglich und sinnvoll ist und dass die skizzierte Methode dazu beitragen kann, relative Über- und Unterversorgung deutlich präziser zu ermitteln und damit eine stringentere Bedarfsorientierung zu erreichen.

Sektorübergreifende Neuordnung der Notfallversorgung

Michael Slowik, Christian Wehner, Hendrik Dräther, Claus Fahlenbrach und Sabine Richard

Die Notfallversorgung stand vor der Bundestageswahl im Jahr 2017 nicht nur im Fokus der Interessensvertretungen diverser Leistungserbringer und Kostenträger, sondern auch bei den Landesplanungsbehörden, medizinischen Fachgesellschaften und dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Der Beitrag skizziert die derzeitigen strukturellen Hindernisse in der sektorenübergreifenden Organisation und Versorgung von Notfallpatienten und analysiert diese auf Basis qualitativer Studien und Abrechnungsdaten. Die Bestandsaufnahme bestätigt die Strukturverschiebung in der ambulanten Notfallversorgung, die zunehmend durch Krankenhäuser geleistet wird. Waren die Versorgungsanteile in der ambulanten Notfallversorgung zwischen Vertragsärzten und Notaufnahmen im Jahr 2009 noch ausgeglichen, vergrößerte sich der Versorgungsanteil der Krankenhäuser an der Gesamtzahl im Jahr 2016 auf 58,6 Prozent. Nicht nur um diesem Wandel gerecht zu werden, präsentieren die Autoren sechs Reformthesen zur Neuordnung der Notfallversorgung, die einen sektorenübergreifenden Ansatz verfolgen. Die Reform muss eine bundeseinheitliche Struktur in der Versorgung gewährleisten und sollte auf dem gesundheitspolitischen Bekenntnis zu mehr angebotsorientierter Patientensteuerung beruhen, indem patientenorientierte Strukturen geschaffen werden.

Routinedatenbasierte Versorgungsforschung in der klinischen Notfallmedizin – Herausforderungen und Möglichkeiten

Felix Greiner und Dominik Brammen

Aus Sekundärdaten kann nur über die Diagnose auf das Versorgungsgeschehen in Notaufnahmen geschlossen werden. Die Dokumentation von Diagnosen divergiert jedoch zwischen den  Vergütungssystemen der Versorgungssektoren. Aus Sicht der Notaufnahme stellt sich ein Patient hingegen mit gesundheitlichen Beschwerden oder einem Symptom vor. Mit der standardisierten Erhebung von Vorstellungsgründen wird die Basis für Versorgungsforschung aus einer Ex-ante-Perspektive und somit aus Sicht der Mediziner gelegt. Dabei ist wegen großer Fallzahlen eine elektronische Dokumentation anzustreben. Durch elektronische Dokumentenaustauschstandards wie zum Beispiel HL7-CDA wird eine eindeutige Kommunikation zwischen verschiedenen IT-Systemen  sichergestellt.

Teil II Zur Diskussion

Digitalisierung im Krankenhaus – Versorgungsoptimierung bei Herzerkrankungen

Bernd Hillebrandt

Sektorenübergreifende Kooperationen zwischen den Leistungserbringern im Gesundheitswesen setzen strukturierte Informationen und eine elektronische Kommunikation zwischen allen am Heilungsprozess Beteiligten voraus. Dabei muss der Zugang zu allen für die Gesundheitsversorgung erforderlichen Informationen unabhängig von Ort und Zeit sein. Dies ist nicht nur, aber vor allem in dünn besiedelten Flächenländern die Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung. Trotzdem steht Deutschland bei der digitalen Patientenversorgung immer noch am Anfang.

Insbesondere die Versorgung von Patienten mit Herzerkrankungen ist in Mecklenburg-Vorpommern (MV) im Bundesvergleich unterdurchschnittlich (zum Beispiel höhere Sterblichkeit beim Myokardinfarkt). Ein Grund dafür ist die geringere Dichte und damit die Erreichbarkeit von Spezialisten und spezialisierten Einrichtungen in der Herzmedizin. Am Beispiel des Projektes „HerzEffekt MV“ wird beschrieben, wie Patienten mit bestimmten herz-medizinischen Problemen unabhängig von ihrem Wohnort „aus der Ferne“ beobachtet und nachgesorgt werden. Wichtige Informationen werden zentral gesammelt und verarbeitet, um den Patienten und Ärzten vor Ort Hinweise zur adäquaten Versorgung zu geben. Dazu werden die häufi gen Krankheitsbilder über eine Telemedizin-gestütztes Care-Center in Prävention, Diagnostik und Therapie gesteuert. Die Behandlung wird zentriert über den gesamten Krankheitsverlauf hinweg zusammen mit dem Hausarzt/Kardiologen und den weiteren an der Versorgung Beteiligten koordiniert. Die Fernversorgung orientiert sich im ersten Schritt an ausgewählten kardiologischen Indikationen, die später ausgeweitet werden können.

Kann direkte Demokratie helfen, Bedarfsgerechtigkeit im Krankenhausmarkt adäquat zu erfassen?

Andreas Beivers und Lilia Waehlert

Die „Stimme des Volkes“ führt derzeit in vielen Demokratien zu erstaunlichen und unerwarteten Ergebnissen. So manches Krankenhaus verdankt auch in Deutschland sein Überleben einem Bürgerentscheid. Gerade diese Form der direkten Demokratie scheint hier eine bedeutende Rolle zu spielen. 62 Bürgerbegehren zum Oberthema „Krankenhaus“ listet dabei der Verein „Mehr Demokratie“ allein seit der DRG-Einführung im Jahr 2003 auf. In 17 Fällen waren die Bürgerbegehren erfolgreich. Ein tiefergehender Blick auf die erfolgreichen Bürgerbegehren zeigt, dass sich vor allem diejenigen Bürgerbegehren durchsetzen, die den Erhalt von Kapazitäten bzw. Standorten im Fokus haben oder sich gegen eine Privatisierung aussprechen. Paradoxerweise kann aber gleichzeitig dazu eine Patientenabwanderung in spezialisierte Einrichtungen festgestellt werden. Ökonomen bezeichnen dieses bekannte Phänomen der direkten Demokratie als „Freerider-Problematik“. Daher stellt sich weniger die Frage, ob direkte Demokratie an sich sinnvoll ist, sondern vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass die Fragen nicht richtig gestellt werden. Der Beitrag gibt dabei einen Überblick über die vorhandenen Probleme der Anwendung der direkten Demokratie im Krankenhauswesen im Status quo und macht – unter Heranziehung volkswirtschaftlicher Besteuerungsmodelle – Vorschläge, wie ökonomische Faktoren in den Entscheidungsprozess einfließen können.

Teil III Krankenhauspolitische Chronik

Krankenhauspolitische Chronik

Dirk Bürger und Christian Wehner

Teil IV Daten und Analysen

Die Krankenhausbudgets 2015 und 2016 im Vergleich

Carina Mostert, Jörg Friedrich und Gregor Leclerque

Der Beitrag untersucht die Veränderungen in den jährlich zu vereinbarenden Budgets der Jahre 2015 und 2016 auf Basis 1.289 somatischer Krankenhäuser. Deren Budgets sind ausgleichsbereinigt um 5,0 Prozent gestiegen, was einem Mittelzuwachs von etwa 2,9 Milliarden Euro entspricht. Die ermittelte Budgetsteigerungsrate ist die höchste seit 2010. Sondereinflüsse auf die Preisentwicklung aus dem Psych-Entgeltgesetz (PsychEntgG) und dem Beitragsschuldengesetz wie in den Vorperioden fehlen, die Regelungen beider Jahre sind deckungsgleich. In der Summe resultiert ein ausgleichsbereinigter Preiseffekt von 2,3 Prozent, der sich mit der Veränderung der Landesbasisfallwerte nahezu deckt. Die vereinbarte Mengenentwicklung ist mit einem Plus von 2,7 Prozent so hoch wie seit vier Jahren nicht mehr. Die Unsicherheit über die künftigen Abschläge bei der Vereinbarung von Mehrmengen führt sehr wahrscheinlich zu spürbaren Vorholeffekten.

Statistische Krankenhausdaten: Grund- und Kostendaten der Krankenhäuser 2015

Ute Bölt

Dieser Beitrag fasst die Ergebnisse der Krankenhausstatistik zu den Grund- und Kostendaten der Krankenhäuser für das Berichtsjahr 2015 zusammen. Er gibt einen Überblick über die sachlichen und personellen Ressourcen (zum Beispiel Betten, Fachabteilungen, Personal) sowie die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen (Patientenbewegungen) und beziffert die Aufwendungen für Personal und Sachkosten. Die Krankenhausstatistik ist eine seit 1991 bundeseinheitlich durchgeführte jährliche Vollerhebung. Auskunftspflichtig sind die Träger der Krankenhäuser. Die Diagnosedaten der Krankenhauspatienten werden wie die fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) jeweils in einem gesonderten Beitrag behandelt (siehe Kapitel 20–21).

Statistische Krankenhausdaten: Diagnosedaten der Krankenhäuser 2015

Torsten Schelhase

Die Diagnosen der Krankenhauspatienten bilden das gesamte vollstationäre Geschehen in den deutschen Krankenhäusern ab. Dieser Beitrag beschreibt die Ergebnisse der Diagnosedaten der Krankenhauspatienten für das Jahr 2015. Diese amtliche Statistik wird seit 1993 jährlich als Vollerhebung durchgeführt, alle Krankenhäuser in Deutschland sind auskunftspflichtig. Erfasst werden alle Patienten, die im Berichtsjahr aus der vollstationären Behandlung eines Krankenhauses entlassen werden. Im Jahr 2015 waren dies knapp 19,8 Millionen Patienten, damit ist die Fallzahl im Vorjahresvergleich erneut angestiegen. Die Ergebnisse der Diagnosen werden nach wichtigen Indikatoren wie Hauptdiagnosen, Alter, Geschlecht und Verweildauer dargestellt. Aufgrund geschlechts- und altersspezifischer Morbiditätshäufigkeiten werden die Ergebnisse teilweise standardisiert und so um den demografischen Effekt bereinigt. Dadurch sind bevölkerungsunabhängige Aussagen möglich.

Fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik: Diagnosen und Prozeduren der Krankenhauspatienten auf Basis der Daten nach § 21 Krankenhausentgeltgesetz

Jutta Spindler

Mit den DRG-Daten nach Paragraph 21 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) steht den Nutzerinnen und Nutzern im Rahmen des Angebots des Statistischen Bundesamtes seit dem Jahr 2005 neben den Grund- und Kostendaten und den Diagnosedaten der Krankenhäuser eine weitere wichtige Datenquelle zur Verfügung. Gegenstand dieses Beitrags sind zentrale Ergebnisse zur stationären Versorgung des Jahres 2015, die das Informationsspektrum der herkömmlichen amtlichen Krankenhausstatistik ergänzen und erweitern. Im Vordergrund stehen die Art und Häufigkeit durchgeführter Operationen und medizinischer Prozeduren sowie die Darstellung wichtiger Hauptdiagnosen, ergänzt um ihre jeweiligen Nebendiagnosen auch unter fachabteilungsspezifischen Gesichtspunkten der vollstationär behandelten Krankenhauspatientinnen und -patienten. Ausgewählte Ergebnisse zum erbrachten Leistungsspektrum der Krankenhäuser, insbesondere zur Art und zum Umfang der abgerechneten Fallpauschalen (DRGs), den Hauptdiagnosegruppen (MDCs) sowie zum Casemix (CM) und Casemix-Index (CMI), werden in diesem Beitrag ebenfalls dargestellt.

Teil V Krankenhaus-Directory

Krankenhaus-Directory 2016: DRG-Krankenhäuser im Vergleich

WIdO

Das diesjährige Directory deutscher Krankenhäuser stellt Eckdaten aus den Aufstellungen der Entgelte und Budgetermittlung (AEB) gemäß Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) dar. Den nachfolgenden Darstellungen liegen Vereinbarungsdaten und nicht die tatsächlich erbrachten Leistungen der jeweiligen Einrichtung zugrunde. Insgesamt finden 1.329 Krankenhäuser Eingang, zu denen eine Vereinbarung vorliegt.